18 Ruanda

6. August 2008

Rusumu – Kigali – Musanze – Parc National des Volcans – Kigali – Katuna

Jetzt sind wir in Ruanda, und sind immer noch selber darüber erstaunt. Das einzige, was uns zu diesem Land einfiel, war Völkermord, Hutus und Tutsis. Doch in den letzten Wochen dachten wir immer wieder darüber nach, Ruanda zu besuchen, und vieles sprach dafür: Eine gute Sicherheitslage, ein wunderschönes Gebirgsland (auch „Pays des Milles Collines“ genannt), und nicht zuletzt die beste Strassenverbindung zwischen Tansania und Uganda. Zwei Tage bevor wir losfuhren, erkundigten wir uns auf dem Internet, ob man an der Grenze ein Visum kriegt, und dann war die Sache entschieden.

Der Grenzübergang war so problemlos wie schon lange nicht mehr und das Visum erhielten wir bereits nach fünf Minuten. Doch wir mussten uns auf ein paar Dinge ganz neu einstellen: Das schwierigste davon war der Rechtsverkehr! Zum Glück hatte uns jemand im Voraus darauf hingewiesen, denn weder in unserm Reiseführer noch an der Grenze gab es irgendeinen Hinweis darauf. Des Weiteren mussten wir nun plötzlich wieder unser Französisch hervor graben, was uns auch nicht gerade leicht fiel. Und dann eine witzige Besonderheit, die für Afrika eigentlich wegweisend sein könnte: Plastiksäcke sind in Ruanda streng verboten! Diese Regelung fällt einem sofort auf, denn es fehlen die obligatorischen „African Flowers“, die überall verstreuten gelben und blauen Plastiksäcke in allen Hecken, Gräben und auf allen Feldern. Im Gegenteil, Ruanda wirkt gepflegt, sauber, oftmals mit kleinen Gärten vor den Häusern oder Baumalleen an den Strassenrändern. Nur für uns ist es etwas unpraktisch, da wir Plastiksäcke als Abfallsäcke benutzen. Wir konnten zwar genügend Exemplare über die Grenze schmuggeln (das war knapp!), doch nun müssen wir unsern Abfall immer sorgfältig verstecken.

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Die Hauptstadt Kigali wirkt für afrikanische Verhältnisse modern und ist schön inmitten grüner Hügel gelegen. Wir waren völlig erstaunt, wie gut die Infrastruktur ist, und was man alles kaufen kann! Der Höhepunkt für uns war eine deutsche Bäckerei mit Köstlichkeiten wie Vollkornbrot, Berlinern und Hefeschnecken. Nach drei Monaten schwabbeligem Weissbrot kann man da einfach nicht widerstehen! Ausserdem gibt es viele In-Lokale und Cafes mit genialem Design, sämtlich mit Wireless-Internet ausgerüstet, wo sich die äusserst schick gekleideten jungen Leute treffen und herrlichen Kaffee trinken (nicht Instant-Ware!). Dieses Bild deckte sich überhaupt nicht mit den Aussagen in unserm Reiseführer, dass Ruanda eines der ärmsten Länder überhaupt sei. Und auch nicht mit den Bildern des Völkermordes, die wir im Hinterkopf hatten.

Vor nur 14 Jahren wurden in diesem Land etwa 800’000 Menschen bestialisch abgeschlachtet. Immer wieder mussten wir an das denken, während wir durch die dicht besiedelte hügelige Landschaft fuhren oder in einem schönen Lokal sassen. Es wirkt so unbegreiflich, so abstrakt. Deshalb besuchten wir eine Genozid-Gedenkstätte, die Kirche von Nyamata, in welcher unzählige Tutsis Zuflucht gesucht hatten. Sie wurde aber von den Hutus gewaltsam aufgebrochen, und dann wurden 2500 Menschen einfach niedergemetzelt. Der junge Mann, der uns durch diesen Ort des Grauens führte, hatte das Massaker als Kind miterlebt und wie durch ein Wunder überlebt. Für uns war es fast unerträglich, als er uns erzählte, was an jenem Tag geschah, und uns die Särge seiner Familienangehörigen zeigte. Später besuchten wir auch noch das Mémorial National du Génocide, ein modern gestaltetes Museum. Die dort gezeigten persönlichen Berichte der Betroffenen brachen uns beinahe das Herz.

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Philipp, ein Freund von uns, hat schon mehrere Monate in Ruanda verbracht, und kehrt jährlich dorthin zurück, um verschiedene Projekte von Campus für Christus zu betreuen und zu koordinieren. Er vermittelte uns den Kontakt zu Patrick, einem jungen Ruander, der uns wirklich beeindruckte! Er hat mehrere Jahre als Missionar in den verschiedensten afrikanischen Ländern gearbeitet, hat in der Zwischenzeit ein kleines, aber wachsendes Geschäft aufgezogen, und mit dem Gewinn unterstützt er Weisenkinder und Witwen. Er ist voller Initiative und Tatendrang, für uns eine geniale Begegnung, die das „Afrikaner-Klischee“ völlig über den Haufen warf! Am nächsten Tag lernten wir Bibiche und Emmanuel kennen, die Leiter von Campus für Christus in Ruanda. Bibiche führte uns zu einem ihrer vielen Projekte in einem kleinen Dorf auf dem Land, abseits von den ausgebauten Hauptstrassen, wo wir Ruanda von einer völlig andern Seite kennen lernten.

Während der Präsident die Hauptstadt zu einem Vorzeigeobjekt herausputzen lässt, ist Ruandas Landbevölkerung bettelarm, die Kinder sind oft wirklich nur in Lumpen gekleidet (was wir nicht oft gesehen haben), und das bergige Land ist eigentlich völlig überbevölkert, Ruanda ist das am dichtesten besiedelte Land Afrikas. Das Land ist zwar sehr fruchtbar, und zum Schutz vor Erosion sind die Felder in den Steilhängen malerisch terrassiert. Doch das Land hat die Belastungsgrenze erreicht, und insbesondere die Witwen und Weisenkinder sind nicht nur hoffnungslos arm, sondern auch psychisch kaputt. Bibiche hat nun begonnen, in Zusammenarbeit mit den lokalen Kirchen etwas Land und einige Ziegen zu kaufen, welches den Witwen zur Verfügung gestellt wird, und diese Frauengruppen organisieren sich nun zur Pflege von Land und Tieren. Damit sollen sie nicht nur etwas für ihren Lebensunterhalt erarbeiten können, sondern auch aus ihrer Isolation befreit werden und wieder neuen Lebensmut fassen. Bibiche hat uns die stolzen Ziegen-Besitzerinnen vorgestellt, und es war rührend zu sehen, wie sehr sie diese Tiere lieben und pflegen (in Afrika sahen wir bisher wenig Tierliebe!). Zum Schluss wurden wir von Bibiche und Emmanuel noch zum Mittagessen mit der ganzen Familie eingeladen, und wir sind überwältigt von der Gastfreundschaft, die wir in diesem Land erleben durften! Danke Philipp!

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Dann nahmen wir Abschied von Kigali und fuhren Richtung Norden. Auf unsern langen Fahrten verkürzen wir uns die Zeit oft mit Hörbüchern, diesmal hörten wir uns die Bergpredigt an. Es fährt einem schon anders ein, wenn man Sätze hört wie: „Freut euch, die ihr jetzt Hunger habt! Gott wird euch satt machen. Freut euch, die ihr jetzt weint! Bald werdet ihr lachen. Aber weh euch, ihr Reichen! Ihr habt euren Anteil schon kassiert.“ Und wir sitzen in unserm edlen Auto, essen noch einen Berliner aus der Bäckerei und sehen draussen die in Lumpen gekleideten Kinder, die uns zuwinken und fragen uns ernsthaft, ob wir diese Aussagen von Jesus kapiert haben?

In Ruanda befindet sich einer der letzten Orte, wo man noch Gorillas beobachten kann, der Parc National des Volcans, an der Grenze zum Kongo gelegen. Obwohl wir diese Tiere sehr gerne gesehen hätten, liessen wir es aus finanziellen Gründen bleiben (der Eintritt dafür kostet 500$ pro Person!). Wir wollten hier aber den höchsten Berg Ruandas, den 4507m hohen Vulkan Karisimbi besteigen. Zusammen mit Rafael und Donald aus Belgien sowie unserm Führer Oliver und unsern fünf Trägern machten wir uns auf zu dieser zweitägigen Tour, ausgerüstet mit Zelten, warmen Kleidern und aller Verpflegung. Man kommt sich schon ein wenig komisch vor, wenn man mit einem kleinen Rucksack den Berg hochsteigt und andere die Schwerarbeit leisten müssen, irgendwie so als Kolonialist. Doch andererseits bedeutet das für die Träger einen guten Lohn, und sie sind noch so froh um diese Arbeit.

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Begleitet wurden wir von vier bewaffneten Soldaten, bei der Übernachtung waren es sogar mindestens zwölf, die sich rund um unser Lager einrichteten. Laut Oliver waren sie allein dazu da, um uns vor Büffeln und Elefanten zu schützen? Tatsache ist, dass sich im krisengeschüttelten Kongo allerorts Rebellengruppen befinden, in dieser Grenzregion befindet sich die Hochburg von Tutsi-Rebellen. Und da dieser Nationalpark ein wahrer Goldesel ist, will die Regierung hier ganz bestimmt kein Sicherheitsrisiko eingehen!

Der Aufstieg führte uns durch die letzten Bergnebelwälder Zentralafrikas, durch flechtenbehangene Bäume, dann durch die spezielle Vegetation der Lobelien und Senezien bis über die Vegetationsgrenze hinaus auf den Gipfel, wo sich die kongolesische Grenze befindet. Leider war alles etwas nebelverhangen, doch es boten sich trotzdem schöne Rundblicke auf die umliegenden Vulkane. Wieder unten angekommen merkten wir dann, dass wir in letzter Zeit zu wenig Sport gemacht hatten, unsere Oberschenkel schmerzen noch mehrere Tage von unserm rasanten Abstieg.

Und dann vermasselte uns ein Federbruch die Weiterfahrt nach Uganda, und wohl oder übel mussten wir zurück nach Kigali. Wie wir befürchtet hatten, gab es unser Ersatzteil nicht an Lager. Doch die Angestellten der Nissangarage verwiesen uns an einen Inder, einen „Grümscheler“, der über alle möglichen Kontakte verfügte. Auch er hatte das Teil nicht, kannte aber die richtigen Leute, die uns in kürzester Zeit eine Occasion-Feder auftreiben konnten, die dann auf dem Parkplatz mit unserm eigenen Werkzeug und mit zwei kleinen Wagenhebern, Eisenstangen und weitern improvisierten Werkzeugen eingebaut wurde.

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Die letzte Überraschung wartete auf dem Parkplatz des Novotels auf uns, wo wir unser Dachzelt für die Nacht aufstellen durften: Neben uns stand ein Auto mit Zürcher Nummernschild! So hielten wir noch einen kurzen Schwatz mit Helen und Markus, bevor wir dieses Land Richtung Uganda verliessen, ein Land voller Gegensätze, welches uns für immer für seine Gastfreundlichkeit in Erinnerung bleiben wird!